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Freitag, 18. Dezember 2015

Ehrlich währt am längsten

Heute habe ich Zeit, zwei Geschichten zu erzählen. Die erste Geschichte erinnert mich an ehemalige Kolleginnen und Kollegen, sie glaubten, sie seien clever, wenn sie so etwas machten.  Wo ich nie zustimmen konnte ... denn es war nicht mein Eigentum, wie kann ich da meine Zustimmung geben? In meinen Augen ist es Diebstahl, wenn auch nur ein Kleiner, aber Diebstahl.
Die zweite Geschichte gefällt mir, weil sie aus China stammt und mich durch ihre Klugheit beeindruckt ... 


Ehrlich währt am längsten


An einer Wirtstafel saß eine stattliche Reihe von Gästen und ließ es sich gut schmecken. Als sie im besten Zechen waren, steckte einer von ihnen einen silbernen Löffel heimlich in den Stiefelschaft. Das bemerkte ein anderer und tat desgleichen. Als die Mahlzeit vorüber war, erhob der Wirt ein großes Geschrei über die fehlenden Löffel. Der zweite Gast hatte den Löffel vorn in den Wams gesteckt, so dass der Stil heraus sah. Der Wirt nahm ihn sogleich wahr, riss ihn hervor und sprach: „Hab ich dich!“ Der Gast aber sagte: „Mit Verlaub, Herr Wirt, ich glaubte, es sei so Brauch, nach der Mahlzeit bei euch den Löffel zum Andenken zu behalten. Der Herr da oben hat zuerst den seinen in den Stiefelschaft geschoben!“ Der wurde feuerrot vor Scham, konnte aber nicht anders, als seine Beute fahren lassen, und musste mit Spott und Schande abziehen.


Der Blinde und der Ölhändler


Ein blinder Musiker hatte sich mit seinem langen Stabe bis an den seichten Fluß getastet und wußte nicht, wie er das jenseitige Ufer erreichen sollte. Da kam ein Ölhändler des Weges, der Mitleid mit dem Blinden fühlte und, dieser Gefühlsregung nachgebend, ihm zurief: „Komm her, ich trage dich über den Fluß, halte unterdessen meinen Geldbeutel, damit mir nichts verlorengeht." Der Blinde, hocherfreut über diese Hilfe, setzte sich auf den Rücken des Mannes und hielt die schwere Tasche mit dem Kupfergelde, das der Ölhändler aus dem Verkaufe seines Öles eingenommen hatte.
Als sie das jenseitige Ufer erreicht hatten, wollte der gutmütige Händler mit dem Danke des Blinden auch sein Geld in Empfang nehmen. Da aber erklärte der Blinde, das sei sein Geld. Er erhob auch gleich ein großes Geschrei und klagte Himmel und Erde die Gewalttal, daß der Händler ihn, den armen blinden Mann, berauben wolle.

Vergeblich verwahrte sich der Händler gegen diese erlogene Anschuldigung und verlangte sein Eigentum zurück. Das herbeilaufende Volk ergriff Partei für den Blinden und prügelte den Ölhändler durch.

Endlich brachte man die beiden immer noch streitenden Männer zum Mandarinen. Hier knieten beide nieder, und jeder beteuerte, es sei sein Geld.

Der Mandarin hörte sie ruhig an, überlegte eine kurze Zeit, tat dann einige Fragen und sagte plötzlich: „Wir wollen in eurer dunklen Sache den Wassergott entscheiden lassen." Er ließ ein Gefäß mit Wasser bringen, den Inhalt des Geldsackes hineinschütten und die Münzen tüchtig im Wasser waschen.
Dann beugte er sich über das Gefäß und betrachtete nachdenklich die Oberfläche des Wassers. Nach einer kurzen Weile sagte er: „Das Geld gehört dem Ölhändler, und du, blinder Musiker, du Lügner und Betrüger, erhältst hundert Bambushiebe!"

Alle Anwesenden staunten über dieses Urteil, das der Mandarin aber sofort einleuchtend begründete.

„Seht her", sagte er, „auf der Oberfläche des Wassers schwimmt Öl. Wenn der Mann Öl verkaufte, wurden seine Hände beim Ausmessen mit Öl begossen, und mit diesen ölbefleckten Händen nahm er das Geld in Empfang; es mußte also die Spuren seines Geschäftes tragen." Auf dem Wasser schwamm wirklich das Öl in vielen großen Fettaugen.


Herzlichst Margot

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