Seiten

Dienstag, 9. Dezember 2014

Einsam am Heiligen Abend

Heute scheint die Sonne und es sieht nicht nach Adventszeit aus. Ich denke eher an Frühling, aber doch nicht im Dezember. Trotzdem bleiben meine Gedanken im hier und jetzt. Deshalb gehen meine Gedanken auf Suche nach schönen Geschichten, auch wenn sie nicht immer zum Lachen sind. Und ich finde diese Geschichte von Herrmann Bang, einem dänischen Schriftsteller, der von 1857-1912 gelebt hat, sehr gut. Zu jeder Zeit gab und gibt es Menschen, die Einsam sind. Nur, wenn man alleine lebt, muss man nicht einsam sein. Ich sehe es an mir ...


Einsam am Heiligen Abend

Jedesmal wenn Weihnachten kommt, muß ich an Herrn Sörensen denken. Er war der erste Mensch in meinem Leben, der ein einsames Weihnachtsfest feierte, und das habe ich nie vergessen können.

Herr Sörensen war mein Lehrer in der ersten Klasse. Er war gut, im Winter bröselte er sein ganzes Frühstücksbrot für die hungrigen Spatzen vor dem Fenster zusammen. Und wenn im Sommer die Schwalben ihre Nester unter den Dachvorsprung klebten, zeigte er uns die Vögel, wie sie mit hellen Schreien hin und her flogen. Aber seine Augen blieben immer betrübt.

Im Städtchen sagten sie, Herr Sörensen sei ein wohlhabender Mann. „Nicht wahr, Herr Sörensen hat Geld?" fragte ich einmal meine Mutter. „Ja, man sagt's." - „Ja ... ich hab' ihn einmal weinen sehen, in der Pause, als ich mein Butterbrot holen wollte ..."

Herr Sörensen ist vielleicht so betrübt, weil er so allein ist", sagte meine Mutter. „Hat er denn keine Geschwister?" fragte ich. „Nein - er ist ganz allein auf der Welt..."

Als dann Weihnachten da war, sandte mich meine Mutter mit Weihnachtsbäckereien zu Herrn Sörensen. Wie gut ich mich daran erinnere. Unser Stubenmädchen ging mit, und wir trugen ein großes Paket, mit rosa Band gebunden, wie die Mutter stets ihre Weihnachtspäckchen schmückte.

Die Treppe von Herrn Sörensen war schneeweiß gefegt. Ich getraute mich kaum einzutreten, so rein war der weiße Boden. Das Stubenmädchen überbrachte die Grüße meiner Mutter. Ich sah mich um. Ein schmaler hoher Spiegel war da, und rings um ihn, in schmalen Rahmen, lauter schwarzgeschnittene Profile, wie ich sie nie vorher gesehen hatte.

Herr Sörensen zog mich ins Zimmer hinein und fragte mich, ob ich mich auf Weihnachten freue. Ich nickte. „Und wo wird Ihr Weihnachtsbaum stehen, Herr Sörensen?" - „Ich? Ich habe keinen, ich bleibe zu Hause."

Und da schlug mir etwas aufs Herz beim Gedanken an Weihnachten in diesem „Zuhause". - In dieser Stube mit den schwarzen kleinen Bildern, den schweigenden Büchern und dem alten Sofa, auf dem nie ein Mensch saß - ich fühlte das Trostlose, das Verlassene in dieser einsamen Stube, und ich schlug den Arm vors Gesicht und weinte.

Herr Sörensen zog mich auf seine Knie und drückte sein Gesicht an meines. er sagte leise: „Du bist ein guter, kleiner Bub." Und ich drückte mich noch fester an ihn und weinte herzzerbrechend.

Als wir heimkamen, erzählte das Stubenmädchen meiner Mutter, ich hätte „gebrüllt".

Aber ich schüttelte den Kopf und sagte: „Nein, ich habe nicht gebrüllt. Ich habe geweint. Und weißt du, ich habe deshalb geweint, weil nie jemand zu Herrn Sörensen kommt. Nicht einmal am Heiligen Abend..."

Später, als wir in eine andere Stadt zogen, verschwand Herr Sörensen aus meinem Leben. Ich hörte nie mehr etwas von ihm. Aber an jenem Tag, als ich an seiner Schulter weinte, fühlte ich, ohne es zu verstehen, zum ersten Male, daß es Menschen gibt, die einsam sind. Und daß es besonders schwer ist, allein und einsam zu sein an Weihnachten.

von Herman Bang (1857-1912)

Als ich diese Geschichte las, ich gestehe es, wurde ich etwas traurig. Nein, nicht über mich, ich fühle mich wohl und meine Freundin und ich, wir reden ja fast jeden Tag miteinander. Nur wünsche ich allen Menschen, die alleine leben, dass sie nicht auch einsam sind.


Herzlichst Margot

5 Kommentare:

  1. Liebe Margot, das ist eine schön traurige Geschichte. Damals wurde der Armen und Einsamen meist von den besser gestellten Familien gedacht. Viele Frauen dachten wohl, uns geht es gut, geben wir ab von dem, was wir haben. Schöne Teller sind das fürs Gebäck, gefallen mir :-) , LG ClauDia.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Liebe Claudia, deine Worte sind sehr gute Worte. So könnte es zu jeder Zeit sein, wer genug hat gibt ab. Es muss nicht über die " Armenküche" sein und ein paar persönliche Worte dazu, erreichen das Herz.
      Es freut mich, dass dir die Teller gefallen, Zwiebelmuster. :-))
      Liebe Grüße, Margot.

      Löschen
  2. Eine berührende Geschichte, zu einem Thema, das leider nicht nur um Weihnachten aktuell ist
    Liebe Grüsse Ruth

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Liebe Ruth ich freue mich, dass du es auch so siehst. Hab vielen Dank für deine guten Worte.
      Wünsche dir eine schöne Adventswoche.
      Liebe Grüße, Margot.

      Löschen
  3. Hallo Margot,

    eine schöne Geschichte, wenn auch sehr traurig. Man kann auch alleine sein und nicht einsam - aber dies liegt wohl an jedem selbst, zugegeben ist es nicht immer einfach.

    Wenn ich alleine wäre, dann hätte ich dennoch einen Weihnachtsbaum und würde es mir schön machen :)

    Liebe Grüße
    Björn :)

    AntwortenLöschen