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Donnerstag, 1. Oktober 2015

Erinnerungen an einen Winter, der gar ...

Heute ist wieder ein wunderschönes Herbstwetter, die Sonne strahlt, der Wind weht leise, meine Geranien blühen noch herrlich und meine Laune ist auch gut.
Aus dem Haus muss ich heute nicht, ich darf nette Geschichten lesen und mich daran erfreuen. Sie, diese Geschichte, geht in meinem Kopf herum und bringt mir Erinnerung an meine eigene Jugendzeit, wo ich die gleichen Tätigkeiten durchführte, nicht immer gewollt. An die Schlittschuh-Fahrten erinnere ich mich sehr gerne, auch wenn ich die Absätze sehr oft verloren hatte ... :-)


Erinnerungen an einen Winter, der gar keiner war

Eine Seniorenclique saß wieder einmal beim Kaffeetrinken zusammen. Nach dem üblichen Begrüßungsritual fing das Loben und Klagen über die Gesundheit an, wobei mehr geklagt als gelobt wurde. Oder besser gesagt, eigentlich nur geklagt. Nur einer sann nach einer Möglichkeit, die Diskussion auf eine andere Bahn zu lenken. Er warf die Frage in die Runde, wie alle über den Winter gekommen sind. Es folgte ein Moment der Konsternation. Dann sagte einer: "Winter? Hatten wir einen Winter? Für mich war es nur eine Periode von Schmuddelwetter, in der ich unnötigerweise auf lauten Winterreifen gefahren bin." Doch da regte sich Widerspruch. Denn, wie der Rheinländer zu sagen pflegt – es hätte ja vielleicht Winter kommen können. So ist uns wohl einige Male ein Verkehrschaos erspart geblieben.

Danach kam der typische Erinnerungseffekt: Ja, früher war alles besser! Da waren die Winter auch richtige Winter. Es gab jede Menge Schnee und Freude beim Bau von Schneemännern. Einer erinnerte daran, dass es nicht nur Spaß im Winter gab. Er musste nämlich jeden Tag der Großmutter Kohlen aus dem Keller nach oben in die Wohnung bringen. Und Großmutters Wohnung war trotzdem nicht besonders warm. Die Fenster nur einfach verglast und nicht dicht. Bei der Kohleheizung hätten sie auch nicht dicht sein dürfen. Ein anderer stimmte zu, er holte einem Onkel das Heizöl in Kannen aus dem Keller. Ein Ölofen galt damals als fortschrittlich. Er hatte den Vorteil vor dem Kohleofen, dass man keine Asche mehr raustragen musste. Das Öl verbrannte fast ohne Rückstand. Es hatte aber auch einen Nachteil, ein leichter Ölgeruch war leider nicht zu vermeiden. Wir erinnerten uns an die guten Bratäpfel, die es manchmal bei Großmutter aus der Backröhre des Kachelofens gab. Darauf bemerkte eine Hausfrau, dass sie sich Bratäpfel jetzt im Mikrowellenherd selber mache. Aber Großmutters Äpfel wären eben besser gewesen.

Dann meldeten sich die Wintersportbegeisterten zu Wort. Eine Dame schwärmte von ihren Eislauferfahrungen. Auf einer Nebenstraße war ein Tennisplatz. Dieser wurde bei Frost mit Wasser besprüht. Am Abend gab es Musik von einem primitiven Plattenspieler bei spärlicher Beleuchtung. Quasi heile Welt. Aber so heil war die Welt nicht. Schlittschuhe, so wie auch andere Sportartikel, waren nach dem Kriege rar und von schlechter Qualität. Sie wurden, zum Leidwesen der Väter, über eine Klemmverbindung an gewöhnliche Straßenschuhe befestigt. Nicht selten riss der Absatz ab. Dann gab es zu Hause Krach. Eine andere Dame des Kränzchens erzählte, dass sie in den Weihnachtsferien meistens zu den Großeltern aufs Land gefahren ist. Dort war der Weiher zu dieser Zeit immer zugefroren. Den Tag verbrachten die Kinder auf dem Eis. Weil es doch damals kaum Schlittschuhe gab, befestigte der Großvater unserer Freundin auf den Sohlen von Holzschuhen zwei Drähte. Der Spaß damit war vollkommen. Andere bestätigten, dass es diese Art von Selbstbauschlittschuh gab. An Unfälle damit konnte sich keiner erinnern. Mit ein bisschen Wehmut schauen sich alle noch Eissportereignisse im Fernsehen an.

Drei aus der Clique hatten sich früher einmal für den Skisport begeistert. Alle drei erzählten, dass sie nach dem Kriege auf Holzbretteln gestanden sind. Einer
von ihnen macht heute noch Langlauf, wenn im Sauerland genügend Schnee liegt. Und einer war im vergangenen Winter in Österreich, aber dort konnte man nur auf den Gletschern Ski fahren. Der Dritte erzählte von einem Unfall im Skiurlaub, bei dem er sich ein Bein gebrochen hatte. Das Ärgerliche für ihn war obendrein, dass er sich das Bein nicht auf der Piste brach, sondern auf dem Weg ins Restaurant zum Abendessen.

Vielleicht bezogen sich die Schilderungen der "schönen Winter" auch nur auf wenige Tage des Jahres. Aber als freudige Erlebnisse im grauen Alltag der damaligen Zeiten haben sie sich tief in unseren Erinnerungen eingegraben.

Christian Modrok
Zeichnung: Klaus Pfauter


4 Kommentare:

  1. Eine schöne Geschichte. Nur gut, dass nicht die ganze Zeit über die Wehwehchen gesprochen wurde.
    Ich hatte schon richtige Schlittschuhe als Kind und damit fuhren wir sogar über den zugefrorenen Stausee. Eigentlich total gefährlich, doch es ist zum Glück nichts passiert. Irgendwann wurde es dann allerdings polizeilich verboten und eine kleine künstliche Eisfläche angelegt.
    LG und danke für die Geschichte
    Astrid

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    1. Liebe Astrid, ich habe die Winter geliebt, mit Kälte und Schnee und Schlittschuhlaufen auf den Flutgraben. Nur auf tiefe Tiefen habe ich mich nicht getraut, es sind zu viele Kinder eingebrochen.
      Die künstliche Eisfläche hat dir sicherlich auch gefallen. Vielen Dank für deine Erinnerung, sie ist sehr schön.
      Liebe Grüße, Margot.

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  2. Hallo Margot,

    so geht es mir auch immer wieder *lach* wenn ich dann sage "früher hatten wir noch Winter", ist mir halt so in Erinnerung geblieben. Gefühlt war ich wochenlang mit dem Schlitten vor der Tür - heute gibt es meist keinen Schnee und die Wiesen zum Schlitten fahren sind bebaut worden ;)

    Liebe Grüße
    Björn :)

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    1. Lieber Björn, es ist so wie du schreibst, jedenfalls in Hessen, fast nie Schnee, was mich sehr ärgert. Ich gebe der Industrie die Schuld. Doch ich werde es nicht ändern, nicht ändern können.
      Danke für deinen Kommentar. Liebe Grüße, Margot.

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