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Samstag, 17. Oktober 2015

Das Einhorn

Bei so einem Wetter wie es zur Zeit in Hessen herrscht, dunkel, kalt und regnerisch, möchte ich am liebsten nur Geschichten, Fabeln und Märchen lesen. Bis hierher, also bis zum heutigen Tag, habe ich nicht gewusst, das Leonardo da Vinci so schöne Fabeln erzählen konnte. Heute gefällt mir die Fabel  vom Einhorn ...



Das Einhorn

Die Jäger sprachen von dem Einhorn wie von einem geheimnisvollen Wesen.
"Ist es ein Tier, oder ein Geist?" fragten sie sich.
In der Tat, dieses fremde, kleine Pferd mit einem Horn mitten auf der Stirn tauchte bald hier, bald dort auf, aber niemanden glückte es, ihm beizukommen.
"Wild und sonderbar," sagte ein Jäger.
"Vielleicht ist es ein Bote der Unterwelt, der auf die Erde kam, um zu spionieren?"
"Aber nein, es ist zu schön, um ein unterweltlicher Geist zu sein; es muss ein Engel sein," entgegnete ein anderer.
Ein Mädchen, das allein unter einer Pergola saß, lauschte ins Schweigen, spann seine Wolle und lächelte. Dieses Mädchen kannte das Einhorn gut, wusste alles von ihm, war sein Freund. Und wahrhaftig; nachdem die Menschen gegangen waren, kam das Tier hinter einem Gesträuch hervor und eilte zu dem Mädchen. Es ließ sich vor ihm nieder, schmiegte seine Kinnbacken auf seine Knie und blickte es mit verliebten Augen an.
Das Einhorn, der streunende, wilde Vierfüßler, der gewöhnlich vor jeder Nachstellung floh, hatte eine Schwäche für junge Mädchen. Es liebte sie alle, und wenn es sich ergab, dass sie allein waren, näherte es sich ohne Scheu, um sie aus der Nähe zu bewundern. Nach der ersten Begegnung wurde es geradezu zahm wie ein Haustier und warb mit seinem Maul um eine Zärtlichkeit.
Sein sonderbare Liebe wurde ihm zum Verhängnis: Die Jäger entdeckten es eines Tages, und ohne Wissen des Mädchens stellten sie ihm eine Falle und töteten es.


Seine Geschichte vom "Stieglitz" gefällt mir auch sehr gut, auch wenn ich seine Gedankengänge nicht annehmen kann und schon gar nicht umsetzen. Freiheit ist ein großes Wort, aber deshalb meine eigene Brut töten, nein, dies könnte ich nicht. Nein, nicht als Vogel und schon gar nicht als Mensch.




Als der Stieglitz mit einem kleinen Wurm im Schnabel ins Nest zurückkehrte, fand er seine Jungen nicht mehr. Irgendjemand hatte sie während seiner Abwesenheit geraubt.
Der Stieglitz begann jammernd und klagend, sie überall zu suchen. Der ganze Wald tönte wider von seinen verzweifelten Rufen; aber niemand antwortete ihm.
Eines Tages sagte ihm ein Fink: "Ich glaube, ich habe deine Jungen am Haus des Bauern gesehen." Der Stieglitz brach voller Hoffnung auf, und schon bald kam er zum Hause des Bauern. Er setzte sich aufs Dach: Da war niemand. Er flog auf die Tenne: Sie war leer. Aber als er seinen Kopf hob, sah er draußen am Fenster einen Käfig befestigt. Darin waren seine Jungen. Gefangene. Als er sie so kläglich piepsend an die Stäbe des Käfigs gedrängt sah, bittend, sie zu befreien, versuchte er, mit Schnabel und Krallen die Gitter des Gefängnisses zu zerbrechen - aber vergebens.
Darauf verließ er sie mit lautem Klagen.
Am Tage darauf kehrte der Stieglitz zu dem Käfig zurück, in dem seine Jungen waren.
Er betrachtete sie. Darauf fütterte er einen um den anderen zum letzten Mal durch das Gitter. Tatsächlich hatte er seinen Kindern ein giftiges Kraut gebracht, an dem die kleinen Vögel starben.
"Besser tot", sagte er, "als die Freiheit verlieren."



Herzlichst Margot

4 Kommentare:

  1. Liebe Margot,
    die Fabel vom Stieglitz hat mich an schreckliche Ereignisse erinnert, die ich in Zeitungen gelesen habe. Nämlich dann, wenn Eltern ihren Kindern im Zusammenhang mit einem Sorgerechtsstreit oder einer sozialen Not etwas antun.
    Ich weiß, dass dies der Verfasser nicht gemeint hat, aber trotzdem kam es mir in den Sinn und ich bin entsetzt, wenn sich jemand erhebt und über Leben und Tod von anderen derartig grausam entscheidet.
    LG
    Astrid

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    1. Liebe Astrid, so ergeht es mir wenn ich solche Geschichten lese. Ich finde es furchtbar wenn jemand glaubt, er hat das Recht seine Kinder zu töten. Nur weil Derjenige, nicht mit seinem Leben zurecht kommt.

      Danke für deine guten Worte. Wünsche dir einen schönen Abend. Herzlichst Margot.

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  2. ... ich schließe mich an - auch hier Dauerregen !

    Liebe Grüße - Monika

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    1. Vielen Dank Monika, deshalb liebe ich den Sommer, da ist wenigstens die Temperatur besser.
      Liebe Grüße, Margot.

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