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Donnerstag, 14. Januar 2016

Die Spinne und die Weisheit

Aus Ghana möchte ich heute ein Märchen erzählen, wie ein Spinnenmännchen auf der Suche nach Weisheit ist. Er muss noch viel erlernen ...


Willst du Weisheit dir erjagen,
lerne Wahrheit erst ertragen. 
Sagt ein 

Ich möchte vorher ein Gedicht von Theodor Fontane aufschreiben:


Und wieder hier draußen…

Und wieder hier draußen ein neues Jahr –
Was werden die Tage bringen?!
Wirds werden, wie es immer war,
Halb scheitern, halb gelingen?

Wirds fördern das, worauf ich gebaut,
Oder vollends es verderben?
Gleichviel, was es im Kessel braut,
Nur wünsch ich nicht zu sterben.

Ich möchte noch wieder im Vaterland
Die Gläser klingen lassen
Und wieder noch des Freundes Hand
Im Einverständnis fassen.

Ich möchte noch wirken und schaffen und tun
Und atmen eine Weile,
Denn um im Grabe auszuruhn,
Hats nimmer Not noch Eile.

Ich möchte leben, bis all dies Glühn
Rücklässt einen leuchtenden Funken
Und nicht vergeht wie die Flamm im Kamin,
Die eben zu Asche gesunken.

Theodor Fontane

Die Spinne und die Weisheit



Kwaku Ananse, das Spinnenmännchen, ärgerte sich schon seit vielen Jahren darüber, dass es unter den Menschen so viele weise Männer gab. Er beschloss deshalb, alle Weisheit zu sammeln und für sich und seine Nachkommen aufzubewahren. Zu diesem Zweck holte er sich aus seinem Hause einen großen Tonkrug; den gedachte er mit Weisheit anzufüllen.

Viele Jahre zog er durch die Lande und stellte Mensch und Tier die schwierigsten Fragen. Erhielt er eine kluge Antwort, so öffnete er schnell den Deckel seines Kruges und flüsterte sie zum Staunen seiner Zuhörer hinein. Als er endlich glaubte, alle Weisheit dieser Welt gesammelt zu haben, machte er sich auf den weiten Weg in die Heimat.

"Kwaku Ananse ist nun weiser als die Götter", sang er viele Tage lang vor sich hin, bis er endlich die runden Hütten seines Heimatdorfes erblickte. Da er fürchtete, man könnte ihm im Dorf seinen kostbaren Schatz stehlen, beschloss er, ihn zunächst einmal für ein paar Tage im Wald zu verbergen. Nach der ersten Wiedersehensfreude wollte er heimlich seine Familie zu seinem Versteck führen und sie die Weisheit der Welt in sich aufnehmen lassen.

"Wo verberge ich nur meinen Krug", murmelte er vor sich hin und hielt Ausschau nach einem geeigneten Versteck. Lange überlegte er hin und her und entschied sich schließlich für einen hohen Kazaurabaum, in dessen obersten Ästen er die Weisheit dieser Erde aufhängen wollte. Er ergriff seinen Krug, band ihn sich mit Schlingpflanzen vor den Bauch und versuchte nun, an dem dicken Stamm emporzuklettern. Weil aber der Krug einen zu großen Umfang hatte, konnte er mit seinen Armen und Beinen die Rinde des Baumes nicht erreichen. So mühte sich Kwaku Ananse drei Tage lang vergeblich, die gesammelte Weisheit in die luftige Höhe des alten Kazaurabaumes zu bringen. Schon unzählige Male war er auf den Rücken gefallen und hatte sich dabei die Haut abgerissen, die nun in großen Fetzen herunterhing. Trotz seiner Schmerzen und trotz seines großen Hungers kämpfte er verbissen weiter und vergaß dabei völlig, dass er für sein Gefäß wohl noch andere sichere Stellen im Wald hätte finden können.
Während er wieder einmal auf dem Rücken lag und hilflos mit den Beinen in der Luft strampelte, kam ein Hase vorbei und beobachtete das Treiben Kwaku Ananses. Als er endlich wieder auf den Füßen stand, versuchte er wohl zum tausendsten Mal, sein Ziel zu erreichen.

Der Hase war ein gutmütiger Kerl, und so beschloss er, dem sich abmühenden Freund zu helfen. "Guten Abend, Kwaku Ananse", sagte er freundlich. Bei diesen Worten schrak Kwaku Ananse so heftig zusammen, dass er wieder auf den Rücken fiel und mit seinem Krug vor dem Bauch in den Abendhimmel starrte. Der Hase sprang schnell herbei und befreite den armen Kwaku aus seiner hilflosen Lage. 

"Was hast du denn in deinem Krug?" fragte er ihn. "Das kann ich dir nicht verraten", erwiderte Kwaku Ananse. "Wenn ich dir die Wahrheit sage, müssen wir beide auf der Stelle sterben." "Nun, dann will ich dieses Geheimnis nicht wissen. Ich habe dir eine Zeitlang zugesehen, wie du dich vergeblich abgemüht hast, deinen bauchigen Krug auf den Baum zu bringen. Wäre es nicht einfacher, wenn du dir das Gefäß auf deinen Rücken bändest?" "Was sagst du da?" schrie Kwaku Ananse. "Ich dachte, ich hätte alle Weisheit dieser Welt in meinem Krug eingefangen, und jetzt sehe ich, dass es immer noch klügere Leute als mich gibt."

Bei diesen Worten riss er sich seine schwere Last vom Bauch und schleuderte sie mit solcher Gewalt an den Kazaurabaum, dass der Krug in tausend Scherben zersprang. "Nun mag die Weisheit in alle Welt entfleuchen", schimpfte er und stapfte durch das hohe Gras nach Hause.

Und ich finde ... Weisheit hat einen Anfang, aber kennt kein Ende.



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